Was du wissen musst, wenn du eine Offene Beziehung führen willst

Wie funktioniert das eigentlich so mit einer Offenen Beziehung? Ist das nicht nur eine Ausrede für Leute, die ungestraft fremdgehen wollen? Und was tut man, wenn Probleme in einer solchen Beziehung auftreten? Nils Terborg, Autor und Beziehungscoach versucht mit seinem neuen Buch „Offene Beziehung. Wie sie funktioniert und was du wissen musst, wenn es brennt!“ Aufklärung zu betreiben.

Offene Beziehung: Wie sie funktioniert und was du wissen musst, wenn es brennt

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Ich muss zugeben, nachdem ich die ersten Seiten des Buches hinter mich gebracht hatte, habe ich bereits gedanklich begonnen, es zu verreißen. Und hätte ich mir nicht fest vorgenommen eine Rezension zu schreiben, hätte ich es vermutlich ziemlich schnell weggelegt.

Ich bin ja jetzt schon eine Weile im Genre der Erotik-, Beziehungs- und Sexualtiätsliteratur unterwegs. Und bisher waren die Texte und Bücher vor allem von einer guten Lesbarkeit geprägt. Locker flockig vom Stil her bei gleichzeitiger guter Qualität.

Der Autor hier scheint sich jedoch ein Beispiel an Herrn Mann genommen zu haben und sich fleißig in langen Schachtelsätzen zu üben. Sehr zu Lasten des Lesevergnügens. Es verkompliziert außerdem das Verständnis eines ohnehin komplexen Themas. Von jemandem, der Rhetorik studiert hat, habe ich eine etwas verständlichere Sprache erwartet.

 

Nils Terborg – Autor und Beziehungscoach in Bochum

So brauchte ich eine ganze Weile, bis ich mich in den recht eigenen Stil und Ausdruck des Autors eingelesen habe. War das geschafft, war ich jedoch froh, das Buch nicht weggelegt zu haben. Denn mit dem Thema Offene Beziehungen scheint sich Nils Terborg wirklich auszukennen. Terborg ist Autor und systemischer Coach und arbeitet seit zwei Jahren erfolgreich als Beziehungscoach.

Wenn das Buch sprachlich etwas ausgemistet und die Redundanz reduziert werden würde, wäre es wahrscheinlich um ein Viertel schmaler. Der Inhalt aber, der dann übrig bleibt, hat es in sich. Ich selbst führe schon seit vielen Jahren eine Offne Beziehung und kann Nils Terborg deshalb aus der Erfahrung heraus eine gewisse Authentizität bescheinigen.

Ist Offene Beziehung gleich Offene Beziehung?

Terborg beginnt mit einer Einführung ins Thema und erklärt erstmal die Grundlagen einer Offenen Beziehung. Dabei geht er auf das Thema „Labeling“ ein und erklärt, was es eigentlich für verschiedene Beziehungsformen gibt. Denn auch Offene Beziehung ist nicht gleich Offene Beziehung – da gibt es ein weites Spektrum, welches angefangen bei einer Affäre über die Sexuelle Freundschaft bis hin zur Beziehungsanarchistischen Polyamorie reicht.
Gleichzeitig verkündet er, dass er nur Anregungen geben will und auch klassische Beziehungsmodelle nicht schlecht macht. Das gelingt ihm allerdings nicht zu hundert Prozent. Es schimmert immer wieder eine subtile Abwertung einer monogamen Zweierbeziehung durch. Gerade wenn er ständig betonen muss, dass er auch diese absolut legitim findet.

Um das Thema möglichst realitätsnah anzugehen, führt er gleich zu Beginn drei imaginäre Paare ein. Eines davon – Oli und Nina – führen eine Offene Beziehung. Die anderen beiden Paare, Karla und Björn sowie Steffen und Tanja, sind mit Oli und Nina befreundet und beobachten interessiert deren Beziehung. Während dabei Karla und Björn eine ganz normale Beziehung führen, ploppt bei Tanja und Steffen das Thema immer wieder auf und es besteht ein gewisses Interesse es doch auch mal auszuprobieren. Über fiktive Gesprächssituationen, in denen sich die Paare entweder gemeinsam oder alleine über das Thema Offene Beziehung austauschen, werden die verschiedenen Bereiche dieser Beziehungsform angesprochen und anschließend von Terborg aufgegriffen und aufbereitet. Diese Gespräche ziehen sich durch das ganze Buch und lockern den Text angenehm auf. Außerdem kommen sie meiner Ansicht nach ziemlich nah an die Realität heran. Auch wenn sie gelegentlich etwas arg konstruiert wirken, hätten sie durchaus genau so stattgefunden haben können.
Nur an manchen Stellen kommt der Autor mit seinen Paaren etwas durcheinander oder das Lektorat hat einfach ein wenig geschlampt. Zum Beispiel wenn Steffen fragt, „Weißt du, worüber ich gerade nachdenke?“ und sich selbst dann mit einem „Nein, erzähl!“ antwortet und er sich im Verlauf des Gesprächs mit Tanja auf einmal in Oli verwandelt, der dann Antwort auf eine weitere Frage gibt.

Nachdem klar ist, worum es überhaupt im Buch geht, kommen einige Menschen zu Wort, die verschiedene Formen der Offenen Beziehung praktizieren. Sie erzählen, warum sie was genau so machen. Das sind ebenfalls sehr angenehme Interviews, die vor allem eines klar werden lassen: Es gibt schlicht und ergreifend nicht DIE Beziehungsform, weder im klassischen noch im alternativen Bereich. Jeder muss für sich selbst ausmachen, wie weit er oder sie die eigene Beziehung öffnen möchte. Eine allgemeingültige Erfolgsformel, wonach die Beziehung dann auch besonders lange hält, existiert nicht.

Vorurteil Offene Beziehung

Gut hat mir auch der nächste Teil gefallen. In diesem greift Nils Terborg 12 Vorurteile auf, mit denen Menschen in einer Offenen Beziehung häufig konfrontiert werden und diskutiert sie. Dabei bringt er seine Erfahrung als ein Beziehungscoach ein, der sich auf Offene Beziehungen spezialisiert hat. Mit Beispielen kann er die Vorurteile widerlegen und häufig auch auf ihren Ursprung zurückführen: Die nach wie vor bestehende gesellschaftliche Sozialisation, welche immer noch die klassische monogame Zweierbeziehung als das Nonplusultra sieht. Alternative Beziehungsformen erscheinen dabei eher als unnormal. Schön finde ich zum Beispiel, wie er die Aussage „Gesunde Beziehungen brauchen <das> nicht!“ kontert, in dem er feststellt, dass das Interesse an anderen Menschen außerhalb der Beziehung in jeder Beziehungsform vorkommt. Irgendwann. Zwangsläufig. Egal ob ungesunde oder gesunde Beziehung. Es liegt in der Natur der Menschen. Eine Offene Beziehung ist dann eben eine Möglichkeit, mit diesem Interesse offen umzugehen.
Fragen, die sicher jeden beschäftigen, der sich mit dem Thema Offene Beziehunge auseinandersetzt handelt Terborg im vierten Kapitel ab. Kann der Mensch überhaupt monogam leben? Kann man verhindern, sich in jemand anderen zu verlieben? Darf ich meinen Partner etwas verbieten? Hier wird nochmal Grundlagenarbeit betrieben.

Der wertvollste Teil des Buches aber ist sicherlich das letzte Kapitel. Es behandelt Problemlagen und gibt mögliche Lösungsvorschläge. Man merkt, dass Nils T. da in seinem Element ist. Es liest sich wesentlich flüssiger als der bisherige Text und jede Seite birgt einen Erkenntnisgewinn. Da konnte sogar ich noch etwas mitnehmen. Auch hier kommen wieder die drei imaginären Paare zum Einsatz – vor allem Oli und Nina, die in ihrer Offene Beziehung immer wieder mit verschiedenen Problemstellungen konfrontiert werden. Ein wichtiges Thema, das immer wieder auftaucht ist dabei das Zeitmanagement. Wie schafft ein Paar es, dass trotz Abenteuer außerhalb der Beziehung trotzdem noch ausreichend Zeit für das gemeinsame Zusammensein bleibt. Besonders prägnant wird das spätestens dann, wenn man auch noch gemeinsam Kinder hat. Oder was kann man machen, wenn einer der Partner irgendwann merkt – das mit der Offenen Beziehung ist doch nichts für uns? Augen zu und durch oder sollte man sich doch lieber eingestehen, dass es nicht funktioniert und wieder eine „geschlossene“ Beziehung führen?

Alles Fragen, mit denen die meisten, welche eine Offene Beziehung führen, früher oder später konfrontiert werden. Bei Terborg gibt es hilfreiche Anregungen, wie mit solchen Situationen umgegangen werden kann. Hilfreich ist auch das Glossar mit Literaturtips und einigen Begriffserklärungen.

Was kann man aus dem Buch über Offene Beziehungen mitnehmen?

Nach einem holprigen Start hat sich das Buch doch noch vielversprechend entwickelt. Sprachlich ist es sicher recht anspruchsvoll und nichts zum nebenbei lesen. Aber wenn man sich einmal reingelesen hat, geht es ganz gut. Inhaltlich ist es fundiert und spiegelt, zumindest aus meiner Sicht, doch recht gut die Realität wieder. Gestört hat es mich allerdings ein wenig, dass das Buch sehr heterolastig ist. Es geht praktisch nur um Mann-Frau-Beziehungen, kein Wort wird über homosexuelle Paare verloren.

Das Buch macht deutlich, dass das allerwichtigste an einer Offenen Beziehung die Kommunikation ist. Das zählt zwar auch für jede andere Beziehung, aber hier muss sie noch viel intensiver stattfinden. Fühlt sich einer unwohl mit irgendetwas, dann muss es angesprochen werden. Manche vereinbaren auch regelmäßige Gesprächstermine, bei denen darüber gesprochen wird, was funktioniert und was nicht funktioniert und ob alle mit der aktuellen Situation zufrieden sind. Ohne eine vernünftige Kommunikation und vor allem auch dem Mut und Willen, Konflikte auszutragen, kann man es mit der Offenen Beziehung auch gleich sein lassen.

Auch sollte man sich vor allem auf sich selbst und die eigene Beziehung konzentrieren und nicht darauf schielen, was die anderen so machen. Man sollte es genau so machen, wie es sich für einen selbst richtig anfühlt. Das kann eine Monogame Beziehung sein, das kann eine Offene Beziehung in den verschiedensten Graden der Öffnung sein, das kann aber auch eine Polyamoröse Beziehung sein. Es gilt, sich nicht an den indoktrinierten Normen zu orientieren, die eine Monogame Beziehung immer noch für alternativlos halten, sondern sein eigenes Ding zu machen.

Und falls es mal brennt in der Beziehung, dann nicht gleich alles über Bord werfen, sondern sich erstmal ein Tee kochen, ein Keks nehmen und darüber reden. In der Regel findet sich immer eine Lösung – und sei es die Konsequenz, sich aus dem Experiment Offene Beziehung wieder zurückzuziehen.
Und falls sich doch mal keine Lösung findet, dann kann ein Blick in schlaue Ratgeber wie der von Nils Terborg nicht schaden. Oder man bittet ihn einfach ganz direkt um Hilfe – er unterstütz euch sicher gerne in euren Beziehungsthemen.

Ganz zum Schluss noch ein Satz, welchen Terborg seine fiktive Nina sagen lässt und der für mich in sich alles vereint, was eine gelungene Offenen Beziehungen ausmacht: „Also wir sind wirklich unglaublich romantisch. Reden hier darüber, mit welchen anderen wir noch so Sex haben, und lieben uns gerade voll.“

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