"Schatten" von Robert Scherburg

„Schatten“
von Robert Scherburg


“Was hast du?“, fragt sie ihn atemlos,“Komm, mach weiter.” “Da draußen ist was“, flüstert er und erstarrt.

„Was? Ich hör nichts!“ „Doch,da war eben ein Schatten.“ “Ist doch egal. Bitte.” Die erschrockeneSpannung in seinem Körper verflüchtigt sich. Er sinkt zurück in die gemeinsameBewegung.

„Oh ja, oh, aah, ja, komm schon.“Entzückt greift sie mit den Händen nach hinten, packt ihn bei seinen Lenden undschiebt ihn hin und her. Seine Finger flattern wie Schmetterlinge über ihrezarten Brüste und fassen sie schließlich wie ein Kätzchen am Nacken.Erwartungsvoll unterbricht sie ihr Stöhnen. Als wolle er sie auf die Folterspannen, verzögert er daraufhin seine Stöße- nur für den Bruchteil einesAugenblicks – um sich von ihr sogleich ein weiteres Mal in süße Abgründe ziehenzu lassen. Sibylle keucht, „Oh ja, oh ja.“ Als sich ihre Lust zukleinen Schreien ausweitet, huscht der Schatten erneut am Fenster vorbei und scheintin der Nahe zu verharren. Johannes zuckt zusammen und hält inne.

„Nein, nein, nein!“ Sibylle heultfast vor Erregung. Sie will ihn festhalten, er aber zieht sich blitzschnell ausihr zurück und rennt in die Küche. Aber hier ist nichts zu sehen, selbst als ersich weit aus dem Fenster beugt, kann er nichts erkennen. Nur die grauen Rohredes Baugerüsts gähnen ihn an, träge schlagen die zur Sicherheit gespanntenNetze gegen das Metall.

Es ist sonntäglich still zwischen denHäusern. Eine alte Dame führt ihren Hund aus, weit entfernt, er nimmt sie nurnoch undeutlich wahr. Es gibt wirklich nichts, was ihn beunruhigen müsste.Ungläubig schüttelt Johannes den Kopf. So sehr konnte er sich nicht getauschthaben.

“Komm endlich“ Sybille streicht überihren Körper, auf dem der Schweiß langsam erkaltet. „ich beginne zufrieren!”

Als er zu ihr ins Bett steigt, blitztEnttäuschung in ihren Augenwinkeln. Seine Küsse, die langsam von ihrem Nackenhinuntergleiten und sich an der Wölbung ihrer Pobacken zu stauen beginnen,können sie kaum besänftigen.

“Da ist irgend etwas am Fenster!“ Schonwieder verliert Johannes den Faden. Verstört stolpern seine Hände über Sybilleswarmes, verlockendes Fleisch. Er kann einfach nicht mehr zu ihr zurückfinden.Immerfort wandern seine Blicke auf die zugezogenen Vorhänge.

„Du bildest dir das nur ein”, meint sieverärgert, “das sind doch nur die Netze, die sich im Wind bewegen!“

“Ich hab da jemanden vor dem Fenster stehensehen. Außerdem ist es windstill.“

„Ach was!“, seine Sorge belustigtsie. „Komm.“

Die Stirn in tiefe Falten gelegt, lauschtJohannes in die Stille hinein.

Sybille fühlt sich betrogen und lässt sichin die zerwühlten Laken zurückfallen. Fast ärgerlich schließt sie die Augen undbeginnt selbst ihren Bauch zu streicheln. „Du kannst mich doch nichtandauernd so abstürzen lassen!“

Die Ruhe und Kühle, die das beinahe leereZimmer ausstrahlt, beruhigen ihn allmählich. Weit mehr als ihre Worte.Vielleicht hat er sich ja wirklich getäuscht. Natürlich hat er keine Angst vordem Schatten, was dachte sie denn. Er fühlt sich gestört, beobachtet, um seinVergnügen betrogen. So lange er Sybille kennt, ist er dieses Gefühl in ihrerGegenwart nicht losgeworden.

‚Du gehörst mir, ganz allein mir´, flüsterter mit heißem Atem Sybille ins Ohr. Doch die hat sich inzwischen ganz auf sichselbst zurückgezogen. Nimmt ihn kaum mehr wahr. Flink gleiten ihre Hände anihrem Körper entlang.

Den Kopf auf die Hände gestützt, lässtJohannes seine begehrlichen Blicke den Bewegungen ihrer Fingerspitzen folgen.Ihr Stöhnen trägt ihn zurück zu der Erregung, mit der er sie heute in der neuenWohnung empfangen hatte. „Komm mach weiter, ich schaue dir zu“, stößter hervor, wahrend sich Sybilles Hände langsam im Haar zwischen ihren Schenkelnverlieren. Ihr Stöhnen nimmt zu und sie spreizt selbstvergessen die Beine, umtiefer hinabgleiten zu können in dem lockenden Spalt. ‚Was kann da draußenschon sein!´, beruhigt er sich. Sie liegt vor ihm. Begehrenswert und aufreizendund wunderschön. Johannes spürt, wie die Lust mit Macht in seinen Körperzurückdrängt und küsst Sybille heftig auf die leicht geöffneten Lippen. Derkurze Blick aus ihren Augen ist sanft und offen und sie legt auffordern ihreHände auf seine Schultern, reibt wohlig ihre Hüften an den seinen. „Kommzu mir“. Er dringt ohne Zögern in sie ein.

„Nicht so schnell.“ Erschrockengreift sie in seine Seiten, um seinen heftigen Stößen Einhalt zu gebieten.“Das ist viel zu schnell!“‚ Johannes schnauft und verändert ergebenseinen Rhythmus, bewegt sich langsamer. Und hält dann fast zitternd inne. Inihm ist übergroße Zärtlichkeit. Seine Blicke tasten über ihren Leib, er küsstihre steil aufgerichteten Brustwarzen, den schlanken Hals bis zum Kinn. Wohligstreckt Sybille den Kopf, um ihm die ganze Fläche zu bieten. Die Hände hat sieüberm Kopf verschränkt. Johannes steigert sein Tempo und nimmt siewiderstandslos mit sich. “Ja, schön”. Sybilles Stöhnen erfüllt den Raum undtreibt seinen Körper zu mehr Geschwindigkeit an.

“Was ist denn!“ Fast schreit sie ihnan, als er sich erneut mit einem Ruck aus ihr zurückzieht. „Spinnstdu“ In Sybille kocht schmerzvolle Wut. „Wovor hast du solche Angst?Draußen ist Totenstille.“ Sie springt aus dem Bett und reißt das Fensterauf. „Nichts!“ Und mit einem Stampfen fügt sie hinzu, „KeineMenschenseele!“ Auf dem Weg ins Badezimmer würdigt sie ihn keines Blickes.Kurz darauf hört er das Rauschen des Wassers.

Johannes findet die Badtür verschlossen,Enttäuscht geht er zum Fenster und schmeißt es krachend zu. Jetzt ist die Wutin ihm. „Was ist nur los?“ Kopfschüttelnd legt er sich ins Bettzurück und lauscht zum Bad hinüber. Sybille duscht ewig.

Die Stimmung ist verloren. Traurig überlässtsich Johannes seiner aufkommenden Müdigkeit. „Das also ist unser erstesBeisammensein in unserer eigenen Wohnung!“, wütend schleudert er seineWorte in Richtung Fenster. Wer immer dort sein mochte, er soll verschwinden.Sonst! Oder besser noch, er soll lautlos vom Gerüst in die Tiefe stürzen!Johannes malt sich aus, wie die Leute vor dem Haus zusammenlaufen und sich dannerschrocken abwenden. Die rote Blutlache färbt sich blitzschnell schwarz.Irgendwann zeigt einer der Hinzutretenden noch oben zum Fenster. Sirenen heulenin der Ferne. Kurz darauf schellt die Türglocke und noch ehe Johannes sicheinen Mantel überwerfen und die Tür öffnen kann, haben zwei Männer sie schoneingetreten und stehen drohend vor ihm. „Wo ist der Kerl“, schreiteiner der beiden. „Wo ist die Frau”, brüllt der andere. „Sie gehörtuns!“ „Nein!“ Mit einem Schrei fahrt Johannes aus seinemTraum.

Er weiß nicht genau, wie lange er so dahingedämmert ist. Eine halbe Stunde, ein paar Minuten vielleicht? Draußen ist esstill. Das Rauschen im Bad ist verklungen. Doch Sybille liegt noch immer nichtneben ihm. Wieder holt ihn der Schlaf in seine Arme. Als sie endlich ins Zimmerzurückkehrt, schreckt er hoch. Enttäuschung und Wut sind verflogen. NurSehnsucht lauert in seinem Bauch. Er schaut sie liebevoll, beinahe flehend an,als sie sich zerknirscht neben ihn legt. Zerknirscht und ermattet. Ihre Hautist noch feucht und in ihren Augen flackert die unerfüllte Lust. Johannes istzu müde, um sie in den Arm zu nehmen, selbst als sie seine Hand zwischen ihreBeine legt, verharrt er bewegungslos. Es ist feucht zwischen ihren Schenkeln,die Lippen sind aufgeschwollen und die kleine Perle ragt erregt hervor. Sieverstärkt den Druck seiner Hand, in dem sie die ihre fest gegen seine drücktund beginnt die Lippen an seinen Fingern zu reiben. Er spürt sehr wohl, dasssie den Weg nicht ohne ihn zu Ende gegen konnte, doch er ist unfähig, ausseiner Schwere aufzutauchen. Bis ihre linke Hand nach ihm greift und die Hautsanft zurückschiebt. Ihre Finger trommeln einen süßen Takt. Er wird hart undfest unter ihrer Hand und als sie sich auf ihn setzt, dringt er wie von selbstein in ihren warmen, feuchten Schoß. Diesmal bestimmt sie den Rhythmus. IhreHaare kitzeln seine Stirn, wenn sie sich kurz hinabbeugt, um mit der Zunge überseine geschlossenen Augen zu fahren. Ihre Brüste berühren dann aufforderndseine Haut und als er entschlossen nach ihnen greift, sind sie schon fest undangespannt und gierig nach seinen Küssen und Bissen. Sein schwerer Atementlockt ihren Augen ein warmes Strahlen.

Keiner von beiden bemerkt den Schatten, dersich plötzlich drohend hinter dem Fenster aufrichtet. Sybille wird laut. IhreSchrei mischen sich mit seinem Stöhnen. Als sie von ihrem Höhepunkt überwältigtwird und die Stille ins Zimmer zurückkehrt, dringt plötzlich und überdeutlichein Geräusch von draußen herein. Es klingt wie ein nahes Scharren. Oder ist esein Keuchen und Grunzen? Johannes, der eben noch ermattet seinen Wellennachgespürt hatte, springt wütend auf und reißt den Vorhang weg. Polternd fälltdie nur provisorisch befestigte Stange zu Boden.

Auf den schmalen Brettern zwischen denGerüststangen kniet ein Mann. Sie hatten ihn öfter im Hauseingang getroffen. Esist der Maler, der in dem noch unfertigen Hausflur arbeitet. Jedes Mal, wennsie von ihren Besorgungen zurückkehrten und mit Tüten und Kartons bepackt dieTreppe nach oben kamen, hatte er von der Leiter steigen müssen. Sybille war dassehr peinlich. Er aber hatte nur müde abgewunken. „Kein Problem!“

Johannes weicht erschrocken zurück, als derMann vor dem Fenster die Augen öffnet und mit verklärtem Blick durch ihnhindurchschaut. Es dauert eine Weile, bis er Johannes erkennt. Überraschung undEntsetzen spiegeln sich in seinen Zügen, doch er vermag sich nicht mehrzurückzuhalten. Mit einem lustvollen Schrei entlädt er sich, noch immer amBoden hockend, auf dem ungestrichenen Fenstersims.

Als sich nach ein paar Sekunden dieEntspannung auch im Gesicht des Malers niederschlagt, grinst Johannes ihn miteiner Mischung aus Wut und Spott an. „Welch schöner Farbton!“

Der Blick aus dem verschwitzten Gesicht desMalers trifft ihn für einen Bruchteil kalt und verachtend. Doch noch währendJohannes fast angstvoll zurücktritt, zerfallen die verhärteten Züge des anderenzu einem dankbaren, befreiten Lächeln. Johannes dreht sich um. Neben ihm stehtSybille, die Hände über den nackten Brüsten verschränkt, wunderschönanzuschauen und mit einem warmherzigen und freundlichen Lächeln auf den Lippen.