Offene Beziehungen

Warum ist es eigentlich so schwer, treu sein? Und müssen wir das überhaupt? Zunächst müssen wir den Begriff der Treue einmal beleuchten. In klassisch monogamen Beziehungen wird Treue auf intime Körperkontakte reduziert. Die stehen exklusiv dem Partner zu. Letztlich ist das aber nur eine Vereinfachung, denn an sich bedeutet Treue ja – wie zum Beispiel als Vaterlandstreue oder als Treue zu einem Fußballverein – die seelische Verbundenheit. Hat der Partner Sex außerhalb der Beziehung, versteht man das gemeinhin als Folge einer bröckelnden Verbundenheit, also als mangelnde Treue. Diesen Zusammenhang stelle ich grundsätzlich in Frage! Denn ich erlebe dies ganz anders: Seit zwei Jahren bin ich mit meiner jetzigen Partnerin zusammen, wir wohnen inzwischen zusammen, sind sogar verlobt. Unseren ersten gemeinsamen Sex hatten wir in einem Swingerclub. Jetzt leben wir in einer offenen Beziehung. Nach außen offen –nach innen die vertrauensvollste und intensivste Beziehung, die wir beide je hatten. Wir haben beide gelegentlichen Sex mit anderen. Meistens zusammen, ab und zu auch mal ohne den Partner. Und dennoch haben wir unsere Eifersucht im Griff. Es ist nicht so, dass wir gar keine hätten. Aber sie ist kontrollierbar und tut nicht weh. Das kann mit Sicherheit nicht in jeder Beziehung so  funktionieren. Dass es bei uns klappt, hat mehrere Gründe.

Freiheit und Vertrauen

Wir geben uns gegenseitig ein Maximum an Offenheit, Sicherheit und Vertrauen. Wir wissen beide, dass unsere Beziehung und unsere Liebe und Bindung aneinander viel größer und verlässlicher sind als alles, was die sexuelle Freizügigkeit mit sich bringt. Deswegen spielen bei uns Verlustängste keine große Rolle. Und so ist sexuelle Freizügigkeit keine Bedrohung, sondern eine Bereicherung. Sex mit Gefühlen ist immer der bessere. Trotzdem sind wir Menschen mit körperlichen Bedürfnissen. Dazu gehören auch Abwechslung und Wunsch nach fremder Haut, nachdem Reiz des Neuen. Das anzuerkennen und gleichzeitig zu wissen, dass Sex mit anderen mehr so etwas ist wie Fitnesstraining und ein Kinobesuch in einem, bildet die Basis für unsere offene Beziehung. Letztlich verhilft die gelegentliche Abwechslung zu mehr Wertschätzung dessen, was man mit dem Partner hat. Man macht sich einfach immer wieder klar, dass das Fremde nur ganz nett ist, dass aber das richtige Gefühlsfeuerwerk zu Hause wartet. Und man kann auch den Partner immer wieder neu entdecken, indem man mit jemand anderem etwas Neues ausprobiert, das ihm oder ihr möglicherweise auch gefällt.

Regeln

Wir reden über unsere unterschiedlichen Bedürfnisse, Grenzen und Ängste. Einig sind wir uns beispielsweise in der Angst, zu Gunsten eines Dritten vernachlässigt zu werden. Deswegen haben wir uns die Regel gegeben, keine regelmäßige Affäre in der Heimatstadt anzufangen. Oder die Regel, dass wir uns immer sagen, wenn „etwas war“. Hinterher und persönlich, nicht am Telefon. Andere Paare mit offenen Beziehungen handhaben das anders und wollen besser gar nicht wissen, was der Partner so treibt, wenn er alleine ist. Das ist ein anderer Umgang mit der Eifersucht, mehr nach dem Motto: Was ich nicht weiß, macht mich nicht heiß. Bei uns würde das nicht funktionieren. Denn wir würden uns beide mit der Ungewissheit quälen. Uns ist es lieber zu wissen, wie und wie oft der Partner seine Freiheiten tatsächlich nutzt. Meistens lernen wir die Abenteuer unseres Partners auch kennen oder kennen sie sowieso.

~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~
Dieser Artikel erschien erstmalig unter dem Titel „Offene Beziehungen“ in der Printausgabe „Fremdgehen“ des Feigenblatt-Magazins. Wir danken für die Möglichkeit der Veröffentlichung!
~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~

Äpfel und Birne

Die Regeln müssen nicht für beide dieselben sein, denn auch die Bedeutung von sexuellen Erlebnissen mit anderen ist nicht dieselbe. Meine Partnerin schlägt eine schnelle Gelegenheit oft aus und wartet lieber, bis es sich lohnt, bis sich etwas wirklich Besonderes anbietet – bis sie es im Nachhinein bereuen würde, es nicht gemacht zu haben. Dafür hat das dann auch eine gewisse Bedeutung. Ich hingegen verspüre öfter einmal den Drang nach unverbindlichen Abenteuern. Die sind dafür dann quasi bedeutungslos. Diese Asynchronität ist okay. Es ist niemandem damit geholfen, die gewährten Freiheiten eins zu eins aufzuwiegen. Männer und Frauen kann man da nicht ohne weiteres vergleichen.

Von Anfang an

Eine langjährige monogame Beziehung auf diese Weise zu öffnen, ist wahnsinnig schwierig. Im Freundeskreis bekommen wir immer wieder mit, wie solche Versuche lautstark scheitern. Denn wenn es nicht von Anfang an so ist, hat das meistens einen Grund: Einer der Partner möchte es nicht. Eher selten ist der Fall, dass es beide eigentlich wollen und sich nur nicht trauen, das Thema anzusprechen. Oder dass beide gleichzeitig feststellen, dass sich ihre Wünsche und Interessen dahingehend verändert haben. Die Fähigkeit und der Wunsch, in einer offenen Beziehung zu leben, sind nicht jedem in die Wiege gelegt. Nur, wenn zwei Partner zusammenkommen, die da annähernd gleich ticken, kann es funktionieren. Das zu merken und sich in gleichem Maße darauf einzulassen, kann auch ein längerer Prozess des Ausprobierens und Neudefinierens sein – der möglicherweise auch damit endet, dass man es bleiben lässt. Deswegen wäre ich in den ersten Monaten unserer Beziehung auch kaum auf die Idee gekommen, darüber zu schreiben. Doch nach über zwei Jahren sind wir uns sicher: Falls unsere Beziehung eines Tages zerbrechen sollte, dann ganz sicher nicht an ihrer Offenheit. Die wird schließlich ständig hinterfragt und angepasst und erlebt Phasen unterschiedlicher Intensität. Wir waren auch schon über Monate monogam, weil wir es zeitweise beide so wollten. Wir haben für uns eine Beziehungsform entwickelt, mit der wir beide sehr glücklich sind.

In unserem Freundeskreis gibt es aber auch ganz andere Modelle, zum Beispiel eine polyamoröse Vierer-Beziehung – zwei langjährige Paare, die zueinander gefunden haben. Im BDSM-Kontext findet man häufig Beziehungen, deren Offenheit sich auf bestimmte Spielarten beschränkt, vor allem bei Menschen, die nicht eindeutig devot oder dominant sind, sondern zwischen beiden Seiten wechseln: In der Beziehung sind die Rollen klar verteilt, also lebt man den Rollentausch mit einer Spielbeziehung aus. Außerdem ziehen manche submissiven Menschen Befriedigung daraus, wenn ihr Partner Sex außerhalb der Beziehung hat, obwohl sie selbst das nicht „dürfen“. Solche Erfahrungen führen dazu, dass man sich vom klassischen Treuebegriff immer weiter entfernt. Dass man auf die Frage, welche Bedeutung „Treue“ für einen hat, gar keine klare Antwort geben kann.

Denn natürlich ist Treue für uns extrem wichtig. Sie definiert sich nur völlig anders, als es die meisten Menschen zunächst verstehen würden. Für uns wäre es Untreue, wenn einer von uns gegen die Regeln verstoßen würde, die wir uns einvernehmlich gegeben haben. Ein regelmäßiges Techtelmechtel in der eigenen Stadt zu haben und dem Partner das auch noch zu verschweigen, zum Beispiel. Fragt sich nur, was passiert, wenn doch mal Gefühle ins Spiel kommen. Zärtlichkeiten auszutauschen ist eine Sache – wenn die Schmetterlinge dazu kommen, wird es eine andere. Wie wir damit umgehen würden, wissen wir auch noch nicht. Bisher halten wir uns beide nicht für polyamorös, also in der Lage, zu mehreren Menschen gleichermaßen intensive Gefühle zu pflegen. Sollte sich aber doch mal eine(r)von uns zusätzlich in eine andere Person verlieben, werden wir wohl offen und vorbehaltlos darüber sprechen – und uns irgendwie damit arrangieren müssen. Schließlich kommt es im Einzelfall darauf an, in welchem Verhältnis der Partner zur Neuen beziehungsweise zum Neuen steht.

Vielleicht denken Sie jetzt, dass jeder von uns beiden ständig nur mit anderen herum vögelt. Das Gegenteil ist der Fall. Denn wichtig ist: gemeinsam. Wir wollen nach Möglichkeit außergewöhnliche Erlebnisse teilen, und die gibt es nicht so oft. Fast aber noch wichtiger: Die Freiheit wird viel seltener genutzt, wenn man sie erst einmal hat. Offenbar hat für viele, die es eigentlich nicht dürfen, das Fremdgehen seinen Reiz auch im Verbotenen. Zu wissen, dass ich dürfte, wenn ich wollte, macht mich da viel entspannter.

Vielen Dank für diesen Gastartikel an: Christoph Huebner, lebt und arbeitet in Hannover und Berlin. Er ist der Veranstalter von Aphrodizia. einer Veranstaltungsreihe für aufgeschlossene Paare www.aphrodizia.com

 

Bild: © Kim Schneider – Fotolia.com