„Jeder Morgen hier“ von Anonym

Jeder Morgen hier ist weich.
Obwohl schon seit Wochen Juli ist, hängen graue, kuschelige Wolken vor der Sonne. Der Großstadtlärm verfängt sich im leisen Rauschen der schlanken Pappel und löst sich auf. Zwei Tauben vereinigen sich laut
raschelnd im Blätterwerk des alten Baumes ein paar Meter weiter. Nur Geräusche und eine Ahnung von Grau. Vielleicht auch etwas Weiß.

Jeder Morgen hier ist langsames Zurückkehren.
Obwohl wir uns erst seit wenigen Wochen kennen, wühlen wir uns bereits durch die weichen Kissen einer
Vertrautheit, deren Existenz lange noch nicht gerechtfertigt scheint. Irritation.

Jeder Morgen hier ist in deine Haut atmen.
Mit dem Gesicht zu dir und dem Rücken zur Welt. Von allen Seiten umgibt uns das Wasser, still, tief und weich wie der Ausdruck in deinen Augen. Wir gehen ein paar Schritte auf dem schmalen Deich, der die Flut umarmt
und hält.

Jeder Morgen hier ist Leichtigkeit. Wir ziehen uns in unseren Bann. Nichts müssen, nur dürfen und können.
Wenn die Lust aus allen Wolken fällt und die aufgewühlte Seele friedlich wird, sich ausbreitet wie eine schläfrige Katze im warmen Sand.

Jeder Morgen hier ist zeitlos. Es gibt keine Tage, keine Stunden und keine Minuten. Es gibt keine Tageszeiten, es gibt nur die Morgende, die weiche Verführung sind, die
langsames Zurückkehren in die Sinnlichkeit und die in deine Haut atmen sind. Es gibt nur Anfang und Ende dieser Zeit, die wir uns genommen haben, es gibt nur den Kreis, den wir im Zeitfluß um uns gezogen haben.

Jeder Morgen hier ist Musik. Ein eigener Rhythmus, der sich findet, während wir ihm folgen. Der Rythmus unserer Zeit. Unser Rhythmus ist das Knistern der rotblauen
Flammen im regennassen Holz. Unser Rhythmus ist das Intervall der Wellen, die durch unsere Körper fließen.

Jeder Morgen hier gehört uns.