„Die Lüste des Leo“ von Raymond Zoller

eine pornographische Geschichte)

Die Lüste des Leo zu besingen setz ich mich an die Maschine mit den vielen Tasten. Doch so brünftig sind die Lüste, so raffiniert und zahllos seine Laster, daß kein Mensch ermessen kann, wieviele Tasten es bräuchte, sie alle zu erfassen.

So will ich mich denn begnügen mit den Tasten, die mir vergönnt sind, und mich bemühen, festzuhalten, was sich festhalten damit läßt. Berichten will ich, wie Leo der Silvia nachstieg und der Gertrude; wie er an Sabine um ein Haar zum Lustmörder worden wäre und warum er an Sibylle Alimente zahlen muß. Und auch von seiner ersten Sado-Orgie will ich erzählen, wo ihn, da er nicht aufpaßte, die bärenstarke Domina Ilse in einen Käfig steckte, aus dem er nur mit Mühe entweichen konnte und wohin ein dann Ilse die zarte und willige Zofe Veronika sperrte, um sie dem Zugriff des Leo zu entziehen. All dies und noch vieles andere mehr möchte ich auf dieser und den kommenden Seiten berichten; und beginnen möchte ich mit jener Episode, da Leo ein Ruderboot besteigt, um der Insel der Sieben Jungfrauen zuzurudern und dort an Land zu gehen.

Eine pornographische Geschichte zu schreiben schicken wir uns an; und so glaubt man natürlich erwarten zu müssen, daß Leo beim Besteigen des Bootes ins Wasser fällt; daß er, nachdem er sich glücklich ins Boot gehangelt, sich dorten seiner nassen Kleidung entledigt und daß er der Insel der Sieben Jungfrauen in nacktem Zustande zustrebt. – Leider aber war dies nicht der Fall. – Das Boot schaukelte gar sehr, als Leo es bestieg, und Angst und bange wurde ihm darob; doch ins Wasser fiel er nicht; und wenn er auch von Anfang an naß wurde und immer nasser, weil er, des Bootfahrens ungeübt, beim Eintauchen der Ruder gar entsetzlich spritzte, so wurde er doch nicht so naß, daß er sich hätte seiner Kleider entledigen müssen. Und selbst seine Flüche, die er unentwegt ausstieß ob des lästigen Gespritzes und auch deswegen, weil er dauernd vom Kurs abkam, sind für uns uninteressant, da sie jeglichen pornographischen Gehaltes entbehren. Pornographisch relevante Flüche kennt Leo, nebenbei vermerkt, nicht; wie es überhaupt recht selten vorkommt, daß er flucht. Diesmal aber fluchte er; und zwar deswegen, weil es dauernd spritzte; und auch deshalb noch, weil er immer wieder vom Kurs abkam und der Insel der Sieben Jungfrauen nur sehr langsam näherkam. Kann man ja verstehen.

Warum die Insel der Sieben Jungfrauen Insel der Sieben Jungfrauen heißt weiß ich nicht; und genauso wenig ist mir bekannt, warum Leo es so eilig hat, dorthin zu gelangen. Wir werden sehen. – Am besten, wir nutzen die Zeit, da Leo sich spritzend und fluchend mit seinem Boote abmüht, die Insel schon mal zu erkunden; und der Name der Insel sowie das Wissen darum, daß wir es mit einer pornographischen Geschichte zu tun haben läßt uns vorab schon erschauern in wohliger Erwartung.

Doch wie sehr wir die Insel auch durchstreifen – nur Bäume sehen wir und Büsche. Nirgends ein Mensch; geschweige denn eine Frau. Und auch nicht die Spur davon… Und dicht sind die Büsche. Sehr dicht. Und stachelig.

In diesen dichten Büschen können sich natürlich alle möglichen lasterhaften Gespielinnen verborgen halten; doch wie soll man die finden? Überall Dornen und Stacheln; man zerkratzt sich die Haut und macht sich die Kleidung kaputt; der Grund außerhalb der Wege ist morastig; die Schuhe macht man sich schmutzig und die Strümpfe naß. Muß das sein? Nein. Und vielleicht ist gar wirklich niemand auf der Insel, und Leo jagt einem Hirngespinst nach? Oder will einfach bloß rudern lernen? Alles ist möglich! Ob es uns solcherart gar verwehrt bleibt, eine pornographische Geschichte zu schreiben? Wenn es so weitergeht sicher. Wollen wir nicht besser die Insel verlassen und uns nach lohnenderen Jagdgründen umsehen? Wo man sich nicht die Haut zerkratzt und die Füße schmutzig macht? – Was leuchtet da vorne so schwarz im Gebüsch? Ein Damenstrumpf? Ja, es ist ein Damenstrumpf. Oder bloß eine Strumpfhose? Nein, keine Strumpfhose. Ein richtiger Strumpf. Das ist interessant. Suchen wir weiter. Wenn der Boden bloß nicht so schmutzig wäre! Aber wenn wir auf den Wegen bleiben finden wir nichts. Sollen wir den Strumpf hängenlassen, oder sollen wir ihn mitnehmen? Ist es ein Zeichen für Leo? Lockt ihn so eine unbekannte Schöne ins geheime Versteck? Interessant, interessant. Wenn die Stacheln nur nicht so spitz wären. Aua. Aber wenn wir auf den Wegen bleiben finden wir nichts. Dem Mutigen gehört die Welt.

Was leuchtet da vorne so schwarz im Gebüsch? Interessant, interessant. Der zweite Strumpf? Wenn die Büsche bloß nicht so dicht wären. Schon wieder gestochen. Aua. Und immer dichter werden sie; besonders in die Richtung hin, wo der Strumpf hängt. Oder ist es am Ende gar kein Strumpf? Natürlich ist es ein Strumpf; was soll es hier sonst Schwarzes geben? Aua. Verdammt, jetzt bin ich auch noch eingesackt. Richtig morastig ist hier; ganz naß sind meine Füße. Ob wir nicht doch besser umkehren? Vielleicht ist es eh kein Strumpf. Und selbst wenn es ein Strumpf wäre – was hätten wir damit gewonnen? Nichts hätten wir gewonnen. Zwei Strümpfe hätten wir gesehen; weiter nichts. Vielleicht bricht die Spur hier ab; und wir zerkratzen uns ohne jeden Grund und machen uns die Füße naß für nichts und wieder nichts? Alles ist möglich. Doch andererseits wollen wir nicht vergessen, daß Leo doch nicht ohne Grund die Insel der Sieben Jungfrauen anrudert. Einen Grund muß er doch dafür haben; oder? Und dann noch die beiden Strümpfe; da muß doch was dahinter sein! Obwohl es bis jetzt erst ein sicherer Strumpf ist; doch der zweite ist sicher auch einer. Wo ein Strumpf ist, ist auch ein zweiter; dies lehrt der gesunde Menschenverstand; und was sollte dieses schwarze Etwas da vorne in den Büschen anderes sein als ein Strumpf. Also suchen wir weiter; dem Mutigen gehört die Welt. Aua. Ja; es ist ein Damenstrumpf. Nun wird’s spannend. Ringsum sind wir von stacheligen Büschen umgeben; ein Zurück gibt es nicht. Also frisch voran. Doch wohin, in welche Richtung? Keine Ahnung. Blödsinn… Stehen herum wie bestellt und nicht abgeholt. Was nun? Hätten auf dem Weg bleiben sollen; wären nicht so zerkratzt und hätten trockne Füße.

Ob man auf einen Baum steigen soll? Das wäre sicher gut; man hätte etwas Überblick und wäre vor allem diese Dornen und Stacheln los. Aber erst muß man hochkommen. Verdammt; ganz schmutzig macht man sich dabei… An diesem Aste da könnte man sich hochhangeln; dann ging’s vielleicht… Verdammt; ganz außer Übung… Man müßte regelmäßig Klimmzüge machen… Ach, nun ist’s gegangen. Weiter geht’s leichter; hier oben sind die Äste näher beisammen… Aber was soll ich da oben? Ach ja; Ausschau halten. So; das wär’s; höher komm ich nicht. Gute Aussicht hab ich auf den See. In der Ferne rudert Leo; ich erkenn ihn am Spritzen. Merkwürdiger Kurs; wenn er den beibehält zieht er um mindestens einen Kilometer an der Insel vorbei. Ob er von den schwarzen Strümpfen weiß? Sicher weiß er davon; wird doch nicht ohne Grund losgerudert sein… Ganz zerkratzt bin ich von den Büschen und Sträuchern; meine Füße sind naß. Wie lang mag’s her sein, seit ich zum letzten mal auf ’nen Baum geklettert bin? Wonach wollte ich Ausschau halten? Ach so… Aber ich seh nichts. In der Ferne rudert Leo; und unter mir nur Blätter, Dornen und Stacheln. Und morastiger Grund, der meine Schuheschmutzig macht und meine Füße naß… Was such ich? Weiß ich nicht. Steigen wir wieder runter. Au verdammt, fast wär ich ausgerutscht… Grade nochmal gut gegangen.

Verdammt; ist das mühsam, eine pornographische Geschichte zu schreiben. Wollen wir’s nicht besser sein lassen? – Gut, lassen wir’s.