Brief einer Verlegerin an den Vorreiter der Heavy-Erotik (Anonyma)

Ihr Schreiben vom …………..

Sehr geehrter Herr ……………,

nochmals herzlichen Dank für Ihr Schreiben vom ……….. In einem meiner letzten Briefe bin ich bereits auf eine Ihrer Ideen eingegangen, mit der Sie sich in Ihrem Schreiben vertrauensvoll an mich wandten. Daß ich es dabei bisher versäumt habe, mich auch zu Ihrer Frage „Soll Ihr Schriftsteller für Sie das Metier wechseln und zum Vor-Reiter guter Heavy-Erotik-Fiction werden?“ (s. S. 2, Abschnitt 2) zu äußern, bitte ich zu entschuldigen. Ich war der Meinung, diese Frage bedürfe einer eingehenderen Erörterung. Da mir dazu in den letzten Tagen aber nicht die nötige Zeit zur Verfügung stand, komme ich erst jetzt dazu, mich mit der mir eigenen Sorgfalt dieses Themas anzunehmen.

Gestatten Sie mir, sie vorweg kurz und knapp mit einem „Ja, bitte!“ zu beantworten, Ihnen nun hierfür im einzelnen die Gründe zu nennen und Ihnen noch einige Empfehlungen mit auf den Weg zu geben.

Es ist grundsätzlich zu begrüßen, wenn sich ein Schriftsteller in der heutigen Zeit (siehe oben) darüber Gedanken macht, für wen er eigentlich schreibt. Das Publikum, wir im Verlagswesen reden von der Zielgruppe bzw. den Zielgruppen, schon während oder besser noch vor dem Schreiben fest im Auge zu behalten, sollte zur ersten Pflicht eines jeden Schriftstellers gehören, dem die Auflagenhöhe seiner Werke am Herzen liegt. Leider richten sich noch immer viel zu wenige Ihrer Kolleginnen und Kollegen nach diesem Grundsatz und wundern sich dann, warum zum Beispiel ihr Lyrikbändchen nur einen schlappen Absatz von 600 Exemplaren erzielt, später verramscht werden muß und das Honorar dafür so mickerig ausfällt. Und wem, Herr ………., liegen diese verantwortungslosen Schreiberlinge, die mit ihren ziellosen schriftstellerischen Ergüssen doch letztlich nur danach trachten, ihren dumpfen narzißtischen Trieben zu huldigen, mit all ihrem traurigen Gerödel finanziell auf der Tasche? Den Steuerzahlerinnen und Steuerzahlern unseres Landes, die diesen gewissenlosen Subjekten dann auch noch Sozialhilfe in den Rachen werfen müssen, oder ihren jeweiligen EhepartnerInnen. Wieviele Ehen durch dieses finanzielle Schmarotzertum in die Brüche gehen – ich weiß es nicht. Und ich möchte es ehrlich gestanden auch gar nicht wissen. Es ekelt mich davor. Daß diese Damen und Herren mit ihrem Drang zur Selbstoffenbarung, mir fällt dazu immer nur der Begriff „Gedankeninkontinenz“ ein, nicht zuletzt auch ihre Verlegerinnen und Verleger finanziell aussaugen, darauf hinzuweisen, möchte ich mir an dieser Stelle erlauben.

Um so mehr freut es mich, Herr ………., daß Sie in Ihre Frage dieses „für Sie“ eingebaut haben. „Soll Ihr Schriftsteller für Sie das Metier wechseln…?“ Daß ein Schriftsteller auch einmal an seine Verlegerin denkt, ist selten. Ich werde mich dafür zu revanchieren wissen, indem ich Sie auf Platz eins meiner Vorschlagsliste für Literaturpreisausschreibungen setze.

Auch das „Ihr Schriftsteller“, dieses „Ihr“, ist mir nicht entgangen. Ich erkenne darin in Ihnen einen Mann, Herr ………., der es noch versteht, Frauen zu schmeicheln. Und ich bekenne, innerlich ein wenig errötend, daß mir diese kleine Galanterie durchaus gefällt. Auch eine Frau, die tagtäglich in die Rolle der beinharten Geschäftsfrau schlüpfen muß, ist schließlich nur eine Frau aus Fleisch und Blut.

Wenden wir uns nun dem zweiten Teil Ihres Fragesatzes zu. Und zwar vorerst dem Begriff „Vor-Reiter“. Natürlich werden Sie als Schriftsteller wissen, wie dieses Wort laut Duden geschrieben wird. Ich kann daher wohl zurecht davon ausgehen, daß Sie mit dieser besonderen Schreibweise auf etwas Bestimmtes hindeuten möchten, das Ihnen besonders wichtig erscheint. Nun trifft es sich zufällig, daß Sie in ihrem Gegenüber auf eine Kennerin gestoßen sind, für die der Satz „Auf dem Rücken der Pferde, liegt das Glück der Erde“ viele Jahre ihrer Jugend von besonderer Bedeutung war. Wenn ich es auch nicht in der Öffentlichkeit zu tragen pflege, so darf ich Ihnen doch versichern, daß ich stolze Besitzerin des „Bronzenen Jugendreiterabzeichens“ bin, etliche Pokale auf kleineren und größeren Turnieren gewonnen habe, und mich – kurzum – auf die Reiterei verstehe.

Und daher muß ich Ihnen, Herr ………., leider sagen, daß Reiten mit Erotik wenig zu tun hat. Wahrscheinlich schwebt Ihnen bei dem Wort „Reiter“ das Leichttraben vor, dieses rhythmische Hoch und Nieder, Auf und Ab des Gesäßes, um den Rücken eines Pferdes beim Traben zu entlasten. Ich vermute es nur und meine, darin in Ihnen den Anfänger in Sachen Erotik-Fiction zu erkennen. Aber eben gerade das, Herr ………., dieses plump-mechanisch wirkende und das Auge des Betrachters beleidigende Auf-und-Ab in der Reiterei hat mit Erotik nichts, aber auch gar nichts gemein. Womit wir endlich (ein Wort, das ich durchaus nicht ohne Bedauern sage) zu der Frage vorgedrungen wären: Was ist Erotik?

Um einen Begriff genauer definieren zu können, ist es manchmal hilfreich zu überlegen, was dieser Begriff alles ausschließt. „Rein, raus, rein, raus, fertig ist der kleine Klaus!“ – dieser Satz, Herr ………., hat mit Erotik nichts zu tun und leider auch nichts mit Erotik-Fiction, mögen sich „raus“ und „Klaus“ auch noch so schön aufeinander reimen. Was die Erotik und die Erotik-Fiction kennzeichnet, spiegelt sich eben gerade nicht in der Ausführung resp. in der Beschreibung eines auf die Dauer ermüdenden und jede Frau bzw. Leserin langweilenden Auf-und-Nieders oder Unten-und-Obens wieder, sondern in – sagen wir vorerst – „Dingen“, die sehr viel diffiziler sind. Ich weiß, viele Männer haben auf diesem Gebiet arge Schwierigkeiten. Nicht ohne Grund sind es gerade die von Frauen geschriebenen Erotik-Fiction-Werke, die auf dem Markt derzeit boomen. Die Leserinnen, die in ihrer Rolle als Hausfrau und Miternährerin der Familie schon schwer genug an ihrer Doppelbelastung zu tragen haben, sind es allmählich leid, sich von dem zumeist erbärmlichen Gestümper der Herren Autoren ihre wertvolle Lesezeit stehlen zu lassen. Anders läßt sich dieses Phänomen nicht erklären. Als zukünftiger Vorreiter meines Verlages in Sachen Heavy-Erotik-Fiction möchte ich Sie daher im Interesse unserer Leserinnen und Leser sowie im Interesse der Auflagenhöhe Ihrer Werke auf einiges hinweisen, das meines Erachtens einen guten Schriftsteller in diesem Metier auszeichnet.

Ein Schriftsteller, der in diesem Bereich erfolgreich sein will, muß sich vor allem einer langwierigen Schulung seines Tastsinnes unterziehen, um es zu einer Meisterschaft im Fühlen zu bringen. Normalerweise sind Schriftsteller aber Augenmenschen. Denken Sie an die Beschreibungen von Naturphänomenen, Herr ………., die in manchen Romanen seitenlang unser Reservoir an Druckerschwärze erschöpfen. Sonnenuntergänge, das Aufblühen und Verwelken in der Flora – seitenlang werden die Leserinnen und Leser mit den Sicht- Weisen der Herren und Damen aus der schreibenden Zunft gemästet, daß vielen bei dem Wort „Literatur“ nur noch der Brechreiz überkommt. Schauen Sie sich die Leserinnen und Leser unseres Landes bitte einmal genauer an, und Sie werden so viele anorektische und bulimische Charaktere entdecken, daß Ihnen schon vom bloßen Hingucken schlecht wird. Kein Wunder, daß die Jugend lieber zum Walkman greift: das Unverdorbene wittert instinktiv die Gefahren, die in der hiesigen Literatur auf sie lauern. In dem Metier „Erotik“ – und ich spreche jetzt von der „Hoch-Erotik“, möge sie uns nun in der Light- oder Heavy-Version begegnen – weht dagegen ein anderer, ja, ich behaupte, noch frischer Wind. Abverlangt wird dem Schriftsteller hierbei nicht so sehr die Fähigkeit des Sich-Hinein-Sehens, sondern vielmehr die des Sich-Hinein-Fühlens. Und das, Herr ………., ist eine Kunst, die den ganzen Schriftsteller in einem fordert. Manch einer mag denken, es sei doch ein Leichtes vom Wichsen, Ficken, Vögeln oder Bumsen zu schreiben. Ich sage Ihnen, es ist eine der schwierigsten Übungen, die es im Bereich der Schriftstellerei gibt. Doch nach alledem, was ich bisher von Ihnen gelesen habe, Herr ………., glaube ich, Ihnen versichern zu dürfen, daß Sie es in diesem Metier zu einem gewissen Erfolg bringen könnten. Wenn Sie sich anstrengen! Wenn Sie bereit sind, an sich zu arbeiten! Um Ihnen einen Begriff von all den Mühen zu geben, denen Sie auf Ihrem Weg zum erfolgreichen Erotik-Fiction-Autor begegnen werden, lassen Sie sich von mir zu einem kleinen Experiment einladen:

Ich weiß nicht, ob Sie Rechtshänder oder Linkshänder sind, Herr ……….. Nehmen Sie einfach einen Stift zur Hand und führen Sie den Zeigerfinger Ihrer freien Hand an Ihre Lippen. Öffnen Sie Ihren Mund ein wenig und lassen Sie sehr sehr vorsichtig und sehr sehr langsam Ihren Finger in Ihren Mund gleiten. Das funktioniert nicht? Weil Lippen und Finger noch trocken sind? Gut beobachtet! Also, alles gut mit Spucke benetzen und noch einmal von vorn! – Halt! Stop! Herr ……….!!! Ich habe gesagt langsam! Nein, nicht so schnell! Nehmen Sie sich bitte viiiieeeel Zeit. Dringen Sie mit Ihrem Finger immer nur millimeterweise weiter ein. Und bitte, bitte, Herr ……….: nicht stoßen! Gleiten! Fragen Sie sich nun bitte bei jedem Millimeter: Was fühle ich, ich, ……….? Feuchtigkeit? Nässe? Wärme? Be-schreiben Sie Ihre Eindrücke so genau, wie es Ihnen möglich ist! Und wer von uns beiden, Herr ………., fühlt nun was? Ist es der Finger, der die Sinnesreize an Ihr Gehirn weiterleitet, oder ist es nicht vielmehr die Zunge – so wie bei mir? Oder sind bei Ihnen beide (dieser) Körperteile an der Reiz-Reaktions-Übertragung gleichermaßen beteiligt? Überlegen Sie genau und schreiben Sie Ihre Beobachtungen auf! Wenn Sie Ihren Finger bis zum zweiten Glied (bitte vorerst nicht weiter, Ihr Frenulum linguae wird es Ihnen danken) in ihren Mund eingeführt haben, gönnen Sie sich eine kurze Pause. Lassen sie dann vorsichtig und sehr behutsam Ihre Zunge um das Glied kreisen. Jetzt bitte etwas schneller! Horchen Sie in sich hinein! Spüren Sie den Empfindungen nach, die das Spiel Ihrer Zunge in Ihnen auslöst. Fühlen Sie eine gewisse Erregung in sich aufsteigen? Ja? Nein? Und welche Reaktionen laufen in Ihrem Körper ab, wenn Sie jetzt, erst sehr vorsichtig und dann langsam ein wenig intensiver, an Ihrem Finger saugen? Glauben Sie, daß Ihr Wahrnehmungsvermögen durch die Nässe und durch die Wärme in Ihrer Mundhöhle beeinträchtigt oder gesteigert wird? Bitte vergessen Sie hierbei nicht, all Ihre Eindrücke schriftlich festzuhalten! Sie können nun dazu übergehen, Herr ………., Ihren Finger in Ihrem Mund – zur Abwechselung – mit einer gewissen Rhythmik vor und zurück, hin und her zu bewegen, ja, meinetwegen auch zu stoßen. Vergessen Sie dabei auch nicht zu saugen? Woran erinnert Sie diese Tätigkeit? Haben Sie ein ähnliches Gefühl schon einmal erlebt? Wann und wo war das? Schreiben sie alles auf, was Ihnen dazu einfällt!

Wir brechen die Übung an dieser Stelle ab. Als Anfänger in dem Metier Heavy-Erotik-Fiction sollten Sie diese Übungen aber möglichst mehrmals am Tag durchführen. Versuchen Sie, sich kleine Varianten auszudenken. Zum Beispiel könnten Sie Ihr Schmerzempfinden testen, indem Sie erst ein wenig, dann immer etwas stärker auf Ihrem Finger herumknabbern. Wann geben Sie auf? Wieviel Schmerz können Sie ertragen? Und wie fühlt es sich an, wenn sie zwei oder gar drei Finger, in Ihrem Mund aufnehmen? Da bei zwei Fingern etwa doppelt so viele Sinneszellen der Wärme und Nässe Ihres Mundes und der sanften Massage Ihrer Zunge ausgesetzt sind, dürfte sich bei Ihnen ein noch intensiveres Gefühl einstellen. Habe ich recht? – Wenn Sie mehrere Tage lang fleißig trainiert haben, dürfen Sie sich anderen Regionen Ihres Körpers zuwenden. Lassen Sie dabei Ihrer Phantasie freien Lauf. Und fragen Sie sich immer: Was empfinde ich? Wie geht es mir dabei? Gut? Weniger gut? Und versuchen Sie, diese Gefühle „schriftstellerisch“ zu verarbeiten. – All das sind natürlich erst die Anfänge. Richtig interessant werden diese Übungen erst, wenn Sie sie mit einer Übungspartnerin durchführen. Zeit spielt dabei eine wichtige Rolle. Nehmen Sie sich viiieeel Zeit! Und stellen Sie sich immer wieder die gleichen Fragen: Was (Angenehmes / Unangenehmes / Wärme / Kälte / Hitze / Nässe / Trockenheit / Weichheit / Härte / Schmerz / Lust etc.pp.) fühle ich mit welcher Intensität (stark, schwach, sehr stark, ein wenig) und warum (auslösender Faktor) für wie lange (flüchtig, länger andauernd)? Was scheint – ihren Reaktionen nach zu urteilen – meine Übungspartnerin mit welcher Intensität und warum für wie lange zu empfinden? Bitte vergessen Sie nicht, sich über all dieses untereinander auszutauschen. Lesen Sie sich gegenseitig vor, was Sie aufgeschrieben haben, und lassen Sie sich kritisieren, wenn das Geschriebene noch allzu plump daherkommt. Sätze wie „Gott, bist Du wunderbar naß!“ oder „Bitte, tu’s jetzt!“ sind zwar für den Anfang nicht schlecht, verraten aber noch keine Meisterschaft. Wenn es Ihnen an einer Übungspartnerin fehlen sollte, rate ich Ihnen, einer Autorenvereinigung beizutreten. Der Name drückt bereits aus, worum es in diesen Zirkeln geht.

Wenn Sie keine Lust dazu verspüren, Herr ………., diese Übungen gewissenhaft durchzuführen, sollten Sie in Ihrem jetzigen Metier bleiben und dieses Feld anderen überlassen. Das wäre allerdings schade. Denn wie ich weiter oben bereits geschrieben habe, meine ich, aus Ihren bisherigen Texten eine gewisse Begabung für dieses Metier herausgelesen zu haben. Ein Metier übrigens – dies nur als gutgemeinter Hinweis – in dem zu arbeiten sich finanziell lohnt. Besonders aus Ihren Briefen, Herr ………., vernehme ich in der letzten Zeit Anklänge tänzelnder Doppeldeutigkeiten und eines gefährlich unbändigen, wilden innerlichen Lachens, die mich hoffen lassen und die – um noch einmal auf die Begriffsdefinition Heavy-Erotik-Fiction zurückzukommen – ein untrügerisches Kennzeichen wahrhaft guter Hoch-Erotik-Fiction sind. Kennzeichnend für solche Texte ist es auch, bei ihrer Rezeption permanent den Wunsch in sich zu verspüren, die Verfasserin oder den Verfasser genüßlich übers Knie zu legen und ihr/ihm den Hintern zu versohlen. Lassen Sie sich also bitte in absehbarer Zeit nicht in meinem Verlagshaus blicken. Ich könnte sonst für nichts garantieren. Wie gesagt: Auch ich bin schließlich nur eine Frau aus Fleisch und Blut.

Ich hoffe, Herr ………., Ihre Frage zu Ihrer Zufriedenheit beantwortet zu haben. Erste Kostproben Ihres Schaffens nehme ich gerne entgegen, um sie einer gewissenhaften Begutachtung zuzuführen. Denken Sie bitte immer daran, daß noch kein Meister vom Himmel gefallen ist, und verzweifeln Sie nicht, wenn sich nicht gleich auf Anhieb Fortschritte einstellen. Denn gerade in diesem Metier zählt vor allem eines: Üben! Üben! Üben! Am besten Tag und Nacht und bis zur völligen Erschöpfung. Aber Sie wissen ja: ohne Fleiß, kein (Literatur-Nobel-)Preis!

Mit freundlichen Grüßen

…………………………….

(Verlagsleitung)