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Sex mit 10 gutaussehenden Männern …

Es war der fünfte Juli 2014. Der dritte Abiball, an dem ich in meinem Leben teilnahm, war in vollem Gange – doch ich saß, genau wie die anderen zwei Male davor auch schon, heulend in meinem weißen Kleid in einer Ecke und musste getröstet werden. Wieder hatte ein Mann mir das Herz gebrochen, wieder am Abend des Abiballs meine Träume zerstört. Und dieses Mal war es schlimmer als je zuvor.

Doch etwas schien sich zu verändern. In mir regte sich Zorn, Widerwillen und die Einsicht, dass es so nicht mehr weitergehen konnte. Mein ganzes Leben hatte ich immer versucht das eine große Ziel zu erreichen: Eine feste Beziehung mit einem Mann. Doch immer kam, egal wie perfekt es war, der Satz der Sätze: „Ich habe nachgedacht…“ Ach ja? Ich mittlerweile auch. Ich wollte diesen ganzen Schmerz nicht mehr, die ganze Demütigung und Enttäuschung. In wenigen Tagen würde ich 25 werden und zum Teufel, es sollte sich was ändern.

Also setzte ich mir ein Ziel. Vor meinem dreißigsten Geburtstag mit zehn weiteren – gut aussehenden! – Männern zu schlafen als bislang geschehen, sodass eine Runde Zahl auf meiner Liste erreicht werden würde. Liebe? Kann mir gestohlen bleiben, die existiert in meinen Augen nicht mehr.

Ich erinnerte mich dann an die ernüchternden Berichte von Freundinnen, die zu ihrem Leidwesen feststellen mussten, dass die ach so vielversprechende Tinder-App nicht die große Liebe, sondern den schnellen Fick garantierte. Noch am Abend des Abiballs habe ich mit den ersten Männern über die kostenlose App geschrieben.

Bei Tinder läuft es ganz einfach. Man meldet sich mit seinem Facebook-Profil an und andere Personen können dann das Bild, den Vornamen, das Alter, den Leitsatz und gleiche Interessen sehen. Mehr nicht. Auch gibt es keine Möglichkeit denjenigen anzuschreiben, sondern nur zu liken oder disliken. Erst, wenn der andere ebenfalls auf ein Like gedrückt hat, können die Personen in Kontakt treten. Das ist meiner Meinung nach ein großer Vorteil gegenüber anderen Single-Börsen, weil ich sonst immer von irgendwelchen Schwachmaten und Prolls angeschrieben werde, von denen ich nicht einmal wissen möchte, dass sie mein Bild gesehen haben. So komme ich nur in den Genuss von den Personen, die mir auch gefallen. Der User kann außerdem einstellen, welches Geschlecht, welche Altersgruppe und welche Entfernung im Raster angezeigt werden soll, in dem die anderen Personen sich befinden um so die eigenen Präferenzen und die Auswahl noch mehr einzugrenzen.

Während ich mich also durch die Männer klickte, spürte ich bereits, wie groß mein Marktwert ist. Klar, mir war schon immer bewusst, dass ich sexy und hübsch bin, aber hatte ich in der Vergangenheit immer noch das Gefühl, dass ausgerechnet die Männer, zu denen ich mich am meisten hingezogen gefühlt habe, eher das kleine schüchterne und brünette Mäuschen bevorzugen. Ich sollte mich selbst überraschen, denn es ging in meiner Vergangenheit wohl nicht darum, sondern um die Tatsache, dass ich immer versuchte so zu sein, wie diese Frauen – und es einfach nicht war oder bin. Ich bin keine Audrey. Ich bin verdammt nochmal eine Marilyn.

So kam es, dass ich – bis heute! – jedes Mal, wenn ich einen Mann like, sofort die Antwort bekomme, dass er mich auch zuvor schon geliked hat. Verdammt, wie geil dieses Gefühl ist kann ich überhaupt nicht beschreiben. Das ist wohl ein weiterer Reiz, den Tinder ausmacht. Das Gefühl des Gewinnens. Ich war auf einer Mission und sie lief besser als ich jemals für möglich gehalten hätte.
Irgendwann hatte ich mir sogar ein Schema zurechtgelegt, um schnell das zu bekommen, was ich will. Wir treffen uns meistens in einer Bar oder einem Restaurant, ganz in der Nähe von seinem Zuhause (weil ich außerhalb der Stadt wohne) und beschnuppern uns kurz. Wenn es nach mir ginge, würde ich auch sofort zu demjenigen nach Hause fahren, aber Sicherheit geht vor. Man weiß am Ende dann ja doch nicht, ob es sich um einen Psychopathen handelt. Aber da ich aufgrund vergangener Ereignisse mittlerweile eine sehr gute Menschenkenntnis habe, gab es bislang keine negativen Überraschungen.
Da mir bisher mein Gegenüber immer sofort gefallen hat und wir im Vorfeld schon immer besprochen haben, worauf das Treffen abzielt, bin ich dann meistens diejenige, die nach dem ersten Drink sofort sagt „Wollen wir nicht zu dir gehen? Da ist es sicher gemütlicher.“ Wenn ein Mann so etwas sagen würde, würden die meisten Frauen die Augen verdrehen und nach Hause fahren. Bei Männern scheint genau das Gegenteil der Fall zu sein. Ich kann nicht mehr zählen, wie oft mir gesagt wurde, dass derjenige es geil findet, dass ich so offen über Sex rede und mir nehme, was ich will. Das offene Reden über Sex war schon immer eine Eigenschaft, die ich bravourös verkörpert habe – das andere jedoch nicht. Ich weiß, was ich will – nicht mehr leiden zu müssen. Nicht mehr enttäuscht oder von einem Mann verletzt zu werden. Und Tinder hat es, im Gegensatz zu etlichen Psychotherapeuten, geschafft mich von der Last der Sehnsucht nach einer festen Beziehung zu befreien.

Es ist der fünfte September 2014. Zwei Monate sind vergangen. Ich bin meinem Credo treu geblieben und nicht einfach mit irgendjemandem ins Bett gestiegen, sondern nur mit Männern, die meiner Meinung nach Unterwäschemodels und/oder Harvard-Absolventen sein könnten. Darunter befanden und befinden sich Anwälte, Fußballer, Mediziner und Unternehmer. Habe ich mein Ziel, das eigentlich auf fünf Jahre ausgelegt sein sollte, erreicht? Meine Güte, und wie! Nicht zehn, sondern fünfzehn sind es mittlerweile. Mit vielen treffe ich mich immer noch und habe ungezwungenen Spaß. Sollte ich den einen oder anderen Mann zwischendurch an eine feste Beziehung (natürlich nicht mit mir) verlieren, wie schon geschehen, ist schnell für Ersatz gesorgt. Klingt respektlos? Ganz im Gegenteil. Sobald ich mich mit jemandem treffe, mache ich von vornherein klar, dass es nichts weiter ist als Sex und es auch nichts Exklusives ist. Ich will keine Beziehung, keine Liebe. Nur animalischen, geilen und atemberaubenden Sex. Egal ob in der Sauna, im Park, im Sexkino oder sonst wo. Das macht mich glücklich. Das erfüllt mich mehr als es jede kaputte Beziehung bisher getan hat. Für mich funktioniert nur das. Und endlich habe ich es begriffen.

Nichtsdestotrotz weiß ich, dass ich von einem Extrem in ein anderes gerutscht bin – aber ich bereue meine Einsicht nicht. Durch die dauerhafte und sich immer wiederholende Bestätigung von so vielen Seiten bin ich noch selbstbewusster, noch extrovertierter und noch gefestigter in meinem Glauben an mich selbst geworden. Es war der Sommer meines Lebens – und ich habe mich niemals besser gefühlt als jetzt. Danke, Tinder.